Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
Vom 7. Oktober 1949 (GBl. I S. 5)
Zuletzt geändert durch das Gesetz über die Bildung des Staatsrates vom 12.9.1960 (GBl. I S. 505)
Von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu
verbürgen, das Gemeinschafts- und Wirtschaftsleben in sozialer
Gerechtigkeit zu gestalten, dem gesellschaftlichen Fortschritt zu dienen,
die Freundschaft mit allen Völkern zu fördern und den Frieden zu
sichern, hat sich das deutsche Volk diese Verfassung gegeben.
A
Grundlagen der Staatsgewalt
(1) Deutschland ist eine unteilbare
demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf.
(2) Die Republik entscheidet alle Angelegenheiten, die für den
Bestand und die Entwicklung des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit
wesentlich sind; alle übrigen Angelegenheiten werden von den Ländern
selbständig entschieden.
(3) Die Entscheidungen der Republik werden grundsätzlich von den
Ländern ausgeführt.
(4) Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.
(1) Die Farben der Deutschen Demokratischen Republik sind Schwarz-Rot-Gold.
(2) Die Hauptstadt der Republik ist Berlin.
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.
(2) Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht zur Mitgestaltung in
seiner Gemeinde, seinem Kreis, seinem Lande und in der Deutschen
Demokratischen Republik.
(3) Das Mitbestimmungsrecht der Bürger wird wahrgenommen
durch:
Teilnahme an Volksbegehren und Volksentscheiden;
Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts;
Übernahme öffentlicher Ämter in Verwaltung und Rechtsprechung.
(4) Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben an die Volksvertretung zu
richten.
(5) Die Staatsgewalt muß dem Wohl des Volkes, der Freiheit, dem
Frieden und dem demokratischen Fortschritt dienen.
(6) Die im öffentlichen Dienst Tätigen sind Diener der Gesamtheit
und nicht einer Partei. Ihre Tätigkeit wird von der Volksvertretung
überwacht.
(1) Alle
Maßnahmen der Staatsgewalt müssen den Grundsätzen entsprechen, die
in der Verfassung zum Inhalt der Staatsgewalt erklärt sind. Über die
Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen entscheidet die Volksvertretung
gemäß Artikel 66 dieser Verfassung. Gegen Maßnahrnen, die den
Beschlüssen der Volksvertretung widersprechen, hat jedermann das
Recht und die Pflicht zum Widerstand.
(2) Jeder Bürger ist verpflichtet, im Sinne der Verfassung zu handeln
und sie gegen ihre Feinde zu verteidigen.
(1) Die allgemein anerkannten Regeln des
Völkerrechts binden die Staatsgewalt und jeden Bürger.
(2) Die Aufrechterhaltung und Wahrung freundschaftlicher Beziehungen
zu allen Völkern ist die Pflicht der Staatsgewalt.
(3) Kein Bürger darf an kriegerischen Handlungen teilnehmen, die der
Unterdrückung eines Volkes dienen.
(4) Der Dienst zum Schutze des Vaterlandes und der Errungenschaften
der Werktätigen ist eine ehrenvolle nationale Pflicht der Bürger der
Deutschen Demokratischen Republik.
B
Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt
I
Rechte des Bürgers
(1) Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt.
(2) Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen,
Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-,
Rassen-, Völkerhaß, militärische Propaganda sowie Kriegshetze
und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung
richten, sind Verbrechen im Sinne der Strafgesetzbuches. Ausübung
demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.
(3) Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder
im öffentlichen Dienst noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und
kulturellen Leben tätig sein. Er verliert das Recht, zu wählen und
gewählt zu werden.
(1) Mann und Frau sind gleichberechtigt.
(2) Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der
Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.
(1) Persönliche Freiheit,
Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich an
einem beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt
kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden
Gesetze einschränken oder entziehen.
(1) Alle Bürger
haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze
ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck
friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Diese Freiheit wird durch
kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt; niemand darf benachteiligt
werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.
(2) Eine Pressezensur findet nicht statt.
(1) Kein Bürger darf einer
auswärtigen Macht ausgeliefert werden.
(2) Fremde Staatsbürger werden weder ausgeliefert noch ausgewiesen,
wenn sie wegen ihres Kampfes für die in dieser Verfassung niedergelegten
Grundsätze im Ausland verfolgt werden.
(3) Jeder Bürger ist berechtigt, auszuwandern. Dieses Recht kann nur
durch Gesetz der Republik beschränkt werden.
(1) Die fremdsprachigen Volksteile
der Republik sind durch Gesetzgebung und Verwaltung in ihrer
freien volkstümlichen Entwicklung zu fördern; sie dürfen insbesondere
am Gebrauch ihrer Muttersprache im Unterricht, in der inneren Verwaltung
und in der Rechtspflege nicht gehindert werden.
(1) Alle Bürger haben das Recht, zu
Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder
Gesellschaften zu bilden.
(1) Vereinigungen, die
die demokratische Gestaltung des öffentlichen Lebens auf der Grundlage
dieser Verfassung satzungsgemäß erstreben und deren Organe
durch ihre Mitglieder bestimmt werden, sind berechtigt, Wahlvorschläge
für die Volksvertretungen der Gemeinden, Kreise und Länder
einzureichen.
(2) Wahlvorschläge für die Volkskammer dürfen nur die Vereinigungen
aufstellen, die nach ihrer Satzung die demokratische Gestaltung des
staatlichen und gesellschaftlichen Lebens der gesamten Republik erstreben
und deren Organisation das ganze Staatsgebiet umfaßt.
(1) Das Recht, Vereinigungen
zur Förderung der Lohn- und Arbeitsbedingungen anzugehören, ist für
jedermann gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese
Freiheit einschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig und
verboten.
(2) Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet.
(1) Die Arbeitskraft wird vom Staat
geschützt.
(2) Das Recht auf Arbeit wird verbürgt. Der Staat sichert durch
Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt. Soweit
dem Bürger angemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden
kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.
(1) Jeder Arbeitende
hat ein Recht auf Erholung, auf jährlichen Urlaub gegen Entgelt, auf
Versorgung bei Krankheit und im Alter.
(2) Der Sonntag, die Feiertage und der 1. Mai sind Tage der Arbeitsruhe
und stehen unter dem Schutz der Gesetze.
(3) Der Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der arbeitenden
Bevölkerung, dem Schutze der Mutterschaft und der Vorsorge
gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit
und sonstigen Wechselfällen des Lebens dient ein einheitliches, umfassendes
Sozialversicherungswesen auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten.
(1) Die Regelung der Produktion sowie der
Lohn- und Arbeitsbedingungen in den Betrieben erfolgt unter maßgeblicher
Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten.
(2) Die Arbeiter und Angestellten nehmen diese Rechte durch
Gewerkschaften und Betriebsräte wahr.
(1) Die Republik
schafft unter maßgeblicher Mitbestimmung der Werktätigen ein einheitliches
Arbeitsrecht, eine einheitliche Arbeitsgerichtsbarkeit und einen
einheitlichen Arbeitsschutz.
(2) Die Arbeitsbedingungen müssen so beschaffen sein, daß die
Gesundheit, die kulturellen Ansprüche und das Familienleben der
Werktätigen gesichert sind.
(3) Das Arbeitsentgelt muß der Leistung entsprechen und ein menschenwürdiges
Dasein für den Arbeitenden und seine unterhaltungsberechtigten
Angehörigen gewährleisten.
(4) Mann und Frau, Erwachsener und Jugendlicher haben bei gleicher
Arbeit das Recht auf gleichen Lohn.
(5) Die Frau genießt besonderen Schutz im Arbeitsverhältnis. Durch
Gesetz der Republik werden Einrichtungen geschaffen, die es gewährleisten,
daß die Frau ihre Aufgabe als Bürgerin und Schaffende mit ihren
Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann.
(6) Die Jugend wird gegen Ausbeutung geschützt und vor sittlicher,
körperlicher und geistiger Verwahrlosung bewahrt. Kinderarbeit ist
verboten.
II
Wirtschaftsordnung
(1) Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß
den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit entsprechen; sie muß allen ein
menschenwürdiges Dasein sichern.
(2) Die Wirtschaft hat dem Wohle des ganzen Volkes und der
Deckung seines Bedarfes zu dienen; sie hat jedermann einen seiner
Leistung entsprechenden Anteil an dem Ergebnis der Produktion zu
sichern.
(3) Im Rahmen dieser Aufgaben und Ziele ist die wirtschaftliche
Freiheit des einzelnen gewährleistet.
(1) Bauern, Handelund Gewerbetreibende sind
in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu
unterstützen. Die genossenschaftliche Selbsthilfe ist auszubauen.
(1) Zur Sicherung der Lebensgrundlagen und zur
Steigerung des Wohlstandes seiner Bürger stellt der
Staat durch die gesetzgebenden Organe, unter unmittelbarer Mitwirkung
seiner Bürger, den öffentlichen Wirtschaftsplan auf. Die Überwachung
seiner Durchführung ist Aufgabe der Volksvertretungen.
(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet.
Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den
Gesetzen und den sozialen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft.
(2) Das Erbrecht wird nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts gewährleistet.
Der Anteil des Staates am Erbe wird durch Gesetze bestimmt.
(3) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber, der Erfinder und der
Künstler genießen den Schutz, die Förderung und die Fürsorge der
Republik.
(1) Beschränkungen des Eigentums und Enteignungen
können nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher
Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgen gegen angemessene
Entschädigung, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Wegen der
Höhe der Entschädigung ist im Streiffall der Rechtsweg bei den
ordentlichen Gerichten offenzuhalten, soweit ein Gesetz nichts anderes
bestimmt.
(1) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch darf dem
Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen.
(2) Der Mißbrauch des Eigentums durch Begründung wirtschaftlicher
Machtstellung zum Schaden des Gemeinwohls hat die entschädigungslose
Enteignung und Überführung in das Eigentum des Volkes zur
Folge.
(3) Die Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Nationalsozialisten
sind enteignet und gehen in Volkseigentum über. Das gleiche gilt für
private Unternehmungen, die sich in den Dienst einer Kriegspolitik
stellen.
(4) Alle privaten Monopolorganisationen wie Kartelle, Syndikate,
Konzerne, Trusts und ähnliche auf Gewinnsteigerung durch Produktions-,
Preis- und Absatzregelung gerichtete private Organisationen
sind aufgehoben und verboten.
(5) Der private Großgrundbesitz, der mehr als 100 Hektar umfaßt, ist
aufgelöst und wird ohne Entschädigung aufgeteilt.
(6) Nach Durchführung dieser Bodenreform wird den Bauern das
Privateigentum an ihrem Boden gewährleistet.
(1) Alle Bodenschätze, alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte
sowie die zu ihrer Nutzbarmachung bestimmten Betriebe des Bergbaues,
der Eisen- und Stahlerzeugung und der Energiewirtschaft sind in
Volkseigentum zu überführen.
(2) Bis dahin untersteht ihre Nutzung der Aufsicht der Länder und,
soweit gesamtdeutsche Interessen in Frage kommen, der Aufsicht der
Republik.
(1) Die Verteilung und Nutzung des
Bodens wird überwacht und jeder Mißbrauch verhütet. Die Wertsteigerung
des Bodens, die ohne Arbeits- und Kapitalaufwendung für das
Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen.
(2) Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde und ihren
Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern. Opfer des Faschismus,
Schwer-Körperbehinderte, Kriegsgeschädigte und Umsiedler sind
dabei bevorzugt zu berücksichtigen.
(3) Die Erhaltung und Förderung der Ertragssicherheit der Landwirtschaft
wird auch durch Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege
gewährleistet.
(1) Private wirtschaftliche Unternehmungen, die für die Vergesellschaftung
geeignet sind, können durch Gesetz nach den für die
Enteignung geltenden Bestimmungen in Grundeigentum überführt
werden.
(2) Auf Grund eines Gesetzes kann der Republik, den Ländern, den
Kreisen oder Gemeinden durch Beteiligung an der Verwaltung oder in
anderer Weise ein bestimmender Einfluß auf Unternehmungen oder
Verbände gesichert werden.
(3) Durch Gesetz können wirtschaftliche Unternehmungen und
Verbände auf der Grundlage der Selbstverwaltung zusammengeschlossen
werden, um die Mitwirkung aller schaffenden Volksteile zu sichern,
Arbeiter und Unternehmer an der Verwaltung zu beteiligen und Erzeugung,
Herstellung, Verteilung, Verwendung, Preisglstaltung sowie Ein-
und Ausfuhr der Wirtschaftsgüter nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen
zu regeln.
(4) Die Konsum-, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie
die landwirtschaftlichen Genossenschaften und deren Vereinigungen
sind unter Berücksichtigung ihrer Verfassung und Eigenart in die
Gemeinwirtschaft einzugliedern.
(1) Die Veräußerung und
Belastung von Grundbesitz, Produktionsstätten und Beteiligungen, die
sich im Eigentum des Volkes befinden, bedürfen der Zustimmung der
für ihren Rechtsträger zuständigen Volksvertretung. Diese Zustimmung
kann nur mit zwei Dritteln der gesetzliichen Mitgliederzahl erteilt werden.
(1) Das Vermögen und das Einkommen werden progressiv
nach sozialen Gesichtspunkten unter besonderer
Berücksichtigung der familiären Lasten besteuert.
(2) Bei der Besteuerung ist auf erarbeitetes Vermögen und Einkommen
besonders Rücksicht zu nehmen.
III
Familie und Mutterschaft
(1) Ehe und Familie bilden die Grundlage
des Gemeinschaftslebens. Sie stehen unter dem Schutz des Staates.
(2) Gesetze und Bestimmungen, die die Gleichberechtigung von
Mann und Frau in der Familie beeinträchtigen, sind aufgehoben.
(1) Die Erziehung der Kinder zu
geistig und körperlich tüchtigen Menschen im Geiste der Demokratie ist
das natürliche Recht der Eltern und deren oberste Pflicht gegenüber der
Gesellschaft.
(1) Die Frau hat während der Mutterschaft
Anspruch auf besonderen Schutz und Fürsorge des Staates.
(2) Die Republik erläßt ein Mutterschutzgesetz. Einrichtungen zum
Schutz für Mutter und Kind sind zu schaffen.
(1) Außereheliche Geburt darf weder
dem Kinde noch seinen Eltern zum Nachteil gereichen.
(2) Entgegenstehende Gesetze und Bestimmungen sind aufgehoben.
IV
Erziehung und Bildung
(1) Die Kunst, die
Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.
(2) Der Staat nimmt an ihrer Pflege teil und gewährt ihnen Schutz,
insbesondere gegen den Mißbrauch für Zwecke, die den Bestimmungen
und dem Geist der Verfassung widersprechen.
(1) Jeder Bürger hat das
gleiche Recht auf Bildung und auf freie Wahl seines Berufes.
(2) Die Bildung der Jugend sowie die geistige und fachliche Weiterbildung
der Bürger werden auf allen Gebieten des staatlichen und gesellschaftlichen
Lebens durch die öffentlichen Einrichtungen gesichert.