Entwurf
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
vom 4. April 1990
Arbeitsgruppe »Neue Verfassung der DDR« des Runden Tisches
Präambel
Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten
Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes beigetragen haben,
eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und
deren Folgen,
gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der
Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen
Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird,
überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen
Handeln höchste Freiheit ist,
gründend auf der revolutionären Erneuerung,
entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu
entwickeln, das
Würde und Freiheit des einzelnen sichert,
gleiches Recht für alle gewährleistet,
die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt
und unsere natürliche Umwelt schützt,
geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen
Republik diese Verfassung.
I. Kapitel
Menschen- und Bürgerrechte
1. Abschnitt
Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist die oberste Pflicht des Staates.
(2) Jeder schuldet jedem die Anerkennung als Gleicher. Niemand darf
wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines
Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner sozialen Stellung,
seines Alters, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen
oder politischen Überzeugung benachteiligt werden.
Artikel 2
Vor der öffentlichen Gewalt sind alle Menschen gleich. Jede Willkür und
jede sachwidrige Ungleichbehandlung ist untersagt.
Artikel 3
(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.
(2) Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in Beruf und
öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im
Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken.
Artikel 4
(1) Jeder hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und
Achtung seiner Würde im Sterben. In das Recht auf körperliche
Unversehrtheit darf nur durch Gesetz eingegriffen werden.
(2) Niemand darf grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe und ohne seine freiwillige und ausdrückliche
Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Experimenten
unterworfen werden.
(3) Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der
Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.
Artikel 5
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist unter dem Vorbehalt des Gesetzes
gewährleistet.
Artikel 6
(1) Das Recht auf Freizügigkeit, Ein- und Ausreise steht jedem Bürger
und jedem Ausländer und Staatenlosen mit ständigem Wohnsitz zu.
(2) Diese Rechte können zur Bekämpfung von Seuchen und
Katastrophen durch Gesetz beschränkt werden. Zur Vermeidung besonderer
Belastungen der Allgemeinheit bei der Sicherung einer ausreichenden
Lebensgrundlage kann das Recht auf Freizügigkeit, zur Sicherung der
Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und Durchsetzung
rechtlicher Verpflichtungen kann das Recht auf Ein- und Ausreise durch
Gesetz beschränkt werden.
Artikel 7
(1) Keinem Bürger darf die Staatsbürgerschaft entzogen, noch darf er
ausgewiesen oder ausgeliefert werden.
(2) Ausländer dürfen in kein Land ausgeliefert oder ausgewiesen
werden, in dem ihnen die Beeinträchtigung ihrer Menschenwürde oder die
Todesstrafe droht.
(3) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Artikel 8
(1) Jeder hat Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Persönlichkeit
und Privatheit.
(2) Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf Einsicht in
ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige und ausdrückliche
Zustimmung des Berechtigten dürfen persönliche Daten nicht erhoben,
gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden.
Beschränkungen dieses Rechts bedürfen des Gesetzes und müssen dem
Berechtigten zur Kenntnis gebracht werden.
Artikel 9
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen können nur durch Gesetz zugelassen werden. Sie
dürfen nur durch den Richter angeordnet werden. Das Gesetz kann
vorsehen, daß sie beim Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen
Gefahr und im Falle einer Verfolgung auf frischer Tat auch von anderen
Amtsträgern angeordnet und durchgeführt werden können; sie unterliegen richterlicher Bestätigung.
(3) Das Betreten der Wohnung ohne die Einwilligung des Inhabers ist
nur zum Zwecke der Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Gefahr
für Leib und Leben einzelner Personen aufgrund Gesetzes zulässig.
(4) Die Befugnis zum Betreten und zur Besichtigung von ausschließlich
betrieblich und geschäftlich genutzten Räumlichkeiten zur Vornahme
von Amtshandlungen ohne die Einwilligung des Inhabers bedarf einer
Ermächtigung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes.
Artikel 10
(1) Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich.
(2) Eingriffe sind nur durch Gesetz nach richterlicher Anordnung und
nur zum Zwecke der Bekämpfung schwerer, organisierter Kriminalität
zulässig.
Artikel 11
(1) Die Freiheit des Gewissens ist gewährleistet.
(2) Widerstreitet das Gewissen staatsbürgerlichen oder bürgerlichen
Pflichten, so muß der Bürger, wenn er diese Pflichten nicht erfüllen will,
andere Leistungen anbieten und der Staat andere, gleichbelastende
Pflichten eröffnen.
Artikel 12
(1) Jeder hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit seiner Person,
Freiheitsbeschränkungen dürfen nur insoweit erfolgen, als sie gesetzlich
vorgesehen und unumgänglich sind.
(2) Jeder, dessen Freiheit eingeschränkt wird, muß unverzüglich über die
Gründe der Freiheitsbeschränkung unterrichtet werden. Personen,
denen die Freiheit entzogen wird, müssen unverzüglich, spätestens aber
innerhalb von 24 Stunden, einem Richter vorgeführt werden. Der
Richter entscheidet über die durch Gesetz zugelassene
Freiheitsentziehung in einer mit Gründen versehenen schriftlichen Form oder ordnet
die Freilassung an. Der Betroffene kann in angemessenen Abständen
eine richterliche Überprüfung der Fortdauer der Freiheitsentziehung
verlangen. Über eine Freiheitsentziehung und vor jeder richterlichen
Entscheidung über deren Anordnung oder Fortdauer ist eine Person des
Vertrauens des Betroffenen, bei Jugendlichen auch der
Erziehungsberechtigte, zu benachrichtigen. Dem Betroffenen ist Gelegenheit zu
geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen.
(3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch
mißhandelt und keinen Schikanen ausgesetzt werden.
(4) Freiheitsstrafe und Strafvollzug sollen vornehmlich der
gesellschaftlichen Wiedereingliederung dienen. Im Strafvollzug ist die Auferlegung
von Arbeitspflichten zulässig.
(5) Die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe sind abgeschafft.
(6) Jede Person, deren Freiheit unrechtmäßig eingeschränkt worden ist,
hat Anspruch auf Schadenersatz.
Artikel 13
(1) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Jeder
hat Anspruch auf ein faires, zügiges und öffentliches Verfahren. Die
Öffentlichkeit darf nur nach Maßgabe des Gesetzes durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird durch Gesetz bestimmt.
Strafgesetze haben keine rückwirkende Kraft. Jeder gilt bis zu seiner
rechtskräftigen Verurteilung als nicht schuldig.
(3) Niemand darf für dieselbe Handlung mehrfach strafrechtlich zur
Verantwortung gezogen werden. Jeder Verurteilte hat einen
Rechtsanspruch darauf, daß das gegen ihn ausgesprochene Urteil durch ein
höheres Gericht überprüft wird.
(4) Im Verfahren der strafrechtlichen Verfolgung hat jeder einen
Rechtsanspruch auf folgende Garantien, über die er in geeigneter Weise zu
belehren ist:
1) Er muß unverzüglich in einer Sprache, die er versteht, über die
gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.
2) Ihm ist Gelegenheit zu geben, bei der gerichtlichen Verhandlung
anwesend zu sein und sich selbst oder durch einen Verteidiger seiner
Wahl zu verteidigen. Es muß ihm, wenn die Sache es verlangt, ein
Verteidiger zugewiesen werden; bei Bedürftigkeit geschieht das
unentgeltlich. Eine angemessene Vorbereitung der Verteidigung ist zu
gewährleisten.
3) Er kann unter den gleichen Bedingungen wie die Anklage das
Erscheinen von Sachverständigen und Zeugen sowie die Vorlage von
Beweisminteln verlangen und Zeugen und Sachverständige befragen.
Artikel 14
(1)Niemand darf verpflichtet werden, andere Personen wegen
begangener oder drohender Straftaten anzuzeigen. Für drohende schwere
Straftaten kann das Gesetz Ausnahmen vorsehen.
(2) Niemand darf gezwungen werden, gegen sich selbst oder durch
Gesetz bestimmte nahestehende Personen auszusagen.
(3) Für die Angehörigen von Heilberufen, rechtsberatender Berufe,
sozialer Dienste sowie für Seelsorger ist durch Gesetz ein
Zeugnisverweigerungsrecht vorzusehen. In die hierdurch geschützte
Vertraulichkeit von Informationen darf in keiner Weise eingegriffen werden.
Artikel 15
(1) Jeder hat das Recht, Informationen und Meinungen in jeder Form frei
zu bekunden und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen
oder anderen, rechtmäßig erschließbaren Quellen zu unterrichten. Die
Geltung dieser Rechte in Dienst- und Arbeitsverhältnissen darf nur
durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.
(2) Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und anderer Massenmedien
ist gewährleistet. Das Gesetz hat durch Verfahrensregelungen
sicherzustellen, daß die Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen
in Presse, Hörfunk und Fernsehen zum Ausdruck kommen kann.
(3) Diese Rechte finden ihre Schranken in Gesetzen, die die Freiheit der
Meinung und der Unterrichtung nicht wegen deren geistigen Inhalts
oder geistiger Wirkung beschränken dürfen. Gesetzliche
Einschränkungen zum Schutze der Jugend und der Ehre sind zulässig.
Kriegspropaganda ,sowie die öffentliche Bekundung von
menschenwürdeverletzender Diskriminierung sind durch Gesetz zu verbieten.
(4) Die vorhandenen Hörfunk- und Fernsehsender sind als selbständige
öffentlich-rechtliche Anstalten zu errichten. Sie haben die Aufgabe,
durch das Angebot einer Vielfalt von Programmen zur öffentlichen
Meinungsbildung beizutragen. Ihre innere Ordnung wird durch Gesetz
geregelt. Die Zulassung privater Hörfunk- und Fernsehsender darf nur
durch Gesetz und nur dann erfolgen, wenn dadurch die Erfüllung der
Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht beeinträchtigt wird.
(5) Rechtmäßige journalistische Tätigkeit darf durch Zeugnispflicht,
Beschlagnahme und Durchsuchung nicht behindert werden.
(6) Zensur ist verboten.
Artikel 16
(1) Jeder hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich
zu versammeln.
(2) Für Versammlungen oder Umzüge unter freiem Himmel kann dieses
Recht nur aufgrund dringender Erfordernisse der öffentlichen
Sicherheit und nur durch Gesetz beschränkt werden.
Artikel 17
Jeder hat das Recht, Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten und sich
in ihnen den Vereinszwecken gemäß zu betätigen.
Artikel 18
(1) Jeder hat das Recht, sich zu einer Religion oder Weltanschauung zu
bekennen und sie allein oder mit anderen öffentlich oder privat zu
bekunden. Dem Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in
öffentlichen Einrichtungen ist stattzugeben. Es darf keinerlei Zwang auf die
Freiheit der Wahl oder Ausübung einer Religion oder Weltanschauung
stattfinden.
(2) Die Erziehungsberechtigten sind frei, die religiöse und
weltanschauliche Bildung ihrer Kinder entsprechend ihren Überzeugungen zu
gewährleisten.
Artikel 19
(1) Die Wissenschaft ist frei. Der Staat sichert die Ausübung der Freiheit
von Forschung und Lehre.
(2) Durch Gesetz kann die Zulässigkeit von Mitteln oder Methoden der
Forschung beschränkt werden. Es kann Informationspflichten in bezug
auf besonders risikobehaftete Forschungen vorsehen.
(3) Die staatlich geförderten Universitäten pflegen die Wissenschaften in
Forschung, Lehre und Ausbildung. Sie sind Körperschaften des
öffentlichen Rechts und verfügen im Rahmen des Gesetzes in allen
akademischen Angelegenheiten über das Recht der Selbstverwaltung.
(4) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber und der Erfinder genießen
den Schutz des Staates.
Artikel 20
(1) Die Kunst ist frei.
(2) Das kulturelle Leben sowie die Bewahrung und Vermittlung des
kulturellen Erbes werden gefördert. In den Haushalten des Bundes, der
Länder und der Träger der Kommunalautonomie sind die dafür
erforderlichen Mittel vorzusehen.
Artikel 21
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf politische Mitgestaltung. Die
Verfassung und die Gesetze gestalten aus, wie das Recht unmittelbar
oder durch frei gewählte Vertreter ausgeübt wird.
(2) Jeder Bürger hat mit vollendetem 18. Lebensjahr das Recht, an
allgemeinen, gleichen, freien, geheimen und direkten Wahlen zur
Volkskammer, zu den Landtagen und den Komm unalvertretungen
teilzunehmen und in sie gewählt zu werden. Ausländer und Staatenlose mit
ständigem Wohnsitz haben Wahlrecht auf kommunaler Ebene.
(3) Jeder Bürger hat den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern. Das
gleiche Recht steht für die kommunale Ebene den in Absatz 2 Satz 2
genannten Personen zu. Die Rechtsstellung der Angehörigen des
öffentlichen Dienstes, die hoheitliche Befugnisse ausüben (Beamte), ist gemäß
den Funktionsanforderungen einer bürgernahen Verwaltung durch
Gesetz zu regeln.
(4) Jeder, dessen Rechte und Belange durch die öffentliche Planung von
Vorhaben, insbesondere von Verkehrswegen und -anlagen,
Energieanlagen, Produktionsstätten und Großbauten betroffen werden, hat das
Recht auf Verfahrensbeteiligung. Dasselbe Recht haben
Zusammenschlüsse von Betroffenen.
(5) Jeder hat das Recht, sich einzeln und in Gemeinschaft mit anderen
mit Anregung, Kritik und Beschwerde an jede staatliche Stelle zu
wenden. Es besteht Anspruch auf Gehör und begründeten Bescheid in
angemessener Frist.
Artikel 22
(1) Die Familie ist durch den Staat zu schützen und zu fördern.
(2) Andere Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind, haben
Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung.
(3) Eltern haben das Recht und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder.
Wer Kinder erzieht, hat Anspruch auf angemessene staatliche Hilfen
und gesellschaftliche Rücksichtnahme. Der Staat fördert die
Möglichkeit der Erwerbstätigkeit und der beruflichen Bildung Erziehender,
insbesondere durch Arbeitszeitregelungen.
(4) Kindern ist durch Gesetz eine Rechtsstellung einzuräumen, die ihrer
wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender
Selbständigkeit gerecht wird.
(5) Kinder genießen staatlichen Schutz vor körperlicher und seelischer
Vernachlässigung und Mißhandlung. Kinderarbeit ist verboten.
Artikel 23
(1) Das Gemeinwesen achtet das Alter. Es respektiert Behinderung.
(2) Jeder Bürger hat das Recht auf soziale Sicherung gegen die Folgen
von Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebedürftigkeit,
Alter und Arbeitslosigkeit.
(3) Das Recht wird durch öffentlich-rechtliche Versicherungssysteme
gewährleistet, an denen teilzunehmen jeder berechtigt und verpflichtet
ist. Bestandteile der Versicherungssysteme sind mindestens die
Arbeitslosenunterstützung und eine Altersrente für jeden.
(4) Bei besonderen Notlagen besteht ein Anspruch auf Sozialfürsorge.
(5) Soziale Sicherung und Sozialfürsorge haben das Ziel, eine
gleichberechtigte, eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen. In
Heimen stehen den Bewohnern Mitverantwortungs- und Mitentscheidungsrechte zu.
Artikel 24
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf gleichen, unentgeltlichen Zugang zu
den öffentlichen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. In dieses
Recht kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen
werden.
(2) Es besteht eine mindestens zehnjährige allgemeine Schulpflicht. Die
Schule hat die Fähigkeiten und Begabungen der Schüler zu fördern. Das
Schulwesen muß die Offenheit und Durchlässigkeit der Bildungsgänge
gewährleisten.
(3) Der Staat fördert die Einrichtung und Unterhaltung von
Kinderkrippen und Kindergärten sowie Schulhorten.
(4) Für den Schulbesuch können andere als staatliche Schulen gewählt
werden, die vom Gesetz festgelegten Mindestnormen entsprechen. Die
Einrichtung von Privatschulen darf nicht zur Sonderung der Schüler
nach den Einkommensverhältnissen der Eltern führen. Die
Privatschulen haben Anspruch auf öffentliche Finanzierung soweit dadurch der
Vorrang des öffentlichen Schulwesens nicht gefährdet wird.
(5) Schüler und Studenten haben Anspruch auf staatliche
Ausbildungsförderung nach Maßgabe des Gesetzes.
Artikel 25
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Es ist ein
gesetzlicher Kündigungsschutz vorzusehen. Bei der Abwägung der
Interessen des Nutzers und des Eigentümers der Wohnung ist der
überragenden Bedeutung der Wohnung für die Führung eines
menschenwürdigen Lebens besonderes Gewicht beizumessen. Eine
Räumung darf nur vollzogen werden, wenn Ersatz zur Verfügung steht.
(2) Der soziale Wohnungsbau und die Wohnungserhaltung sind staatlich
zu fördern. Der Staat ist besonders zur Förderung des Baus alters- und
behindertengerechten Wohnraums verpflichtet.
2. Abschnitt
Arbeit, Wirtschaft, Umwelt
Artikel 26
Jeder hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. In diese
Freiheit kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Artikel 27
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung.
(2) Das Recht jedes Bürgers, über seine Arbeitskraft frei zu verfügen und
seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, ist gewährleistet. Öffentliche
Arbeits- und Dienstpflichten sind nur für besondere, durch Gesetz
festgelegte Zwecke zulässig. Sie müssen für alle gleich sein. Frauen
dürfen nur zur Abwendung aktueller Notlagen zu einer öffentlichen
Dienstleistung verpflichtet werden. Die Wehrpflicht ist abgeschafft.
(3) Der Staat schützt die Arbeitskraft durch gesetzliche Regelungen über
die Arbeitssicherheit, die Arbeitshygiene und die Begrenzung der
Arbeitszeit. Er fördert das Recht des einzelnen, seine Arbeitskraft zur
Führung eines menschenwürdigen Lebens zu verwenden. Er hat in
seiner Wirtschaftspolitik dem Ziel der Vollbeschäftigung in der Regel
Vorrang einzuräumen. Jeder Bürger hat im Falle von Arbeitslosigkeit
oder drohender Arbeitslosigkeit ein Recht auf öffentlich finanzierte
Maßnahmen der Arbeitsförderung. Dabei ist der beruflichen
Weiterbildung oder Umschulung der Vorrang vor Arbeitslosengeld und
Arbeitslosenhilfe einzuräumen.
(4) Für gleiche Arbeit besteht ein Anspruch auf gleichen Lohn.
(5) Lehrlinge, Schwangere, Alleinerziehende, Kranke, Werktätige mit
Behinderung und ältere Werktätige genießen erweiterten Kündigungsschutz.
Artikel 28
Jeder in einem Betrieb oder Unternehmen beschäftigte Werktätige hat
das Recht, durch Vertretungsorgane in den wirtschaftlichen, sozialen
und personellen Angelegenheiten des Betriebes und auch des
Unternehmens mitzubestimmen, falls dieses aufgrund der Zahl seiner
Beschäftigten, seiner Marktstellung oder anderer Merkmale eine besondere
Bedeutung für das Gemeinwesen hat. Das Nähere regelt das Gesetz.
Artikel 29
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Formen,
Inhalt und Umfang werden durch das Gesetz bestimmt. Eigentum ist
sozialpflichtig.
(2) Das persönlich genutzte und das genossenschaftliche Eigentum
sowie die aufgrund eigener Leistung erworbenen Rentenansprüche und
-anwartschaften stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung.
Der Erwerb von persönlichem Eigentum an Wohnungen und
Wohngrundstücken und die Bildung genossenschaftlichen Eigentums werden
gefördert.
(3) Die hoheitliche Übertragung des Eigentums oder einzelner
Eigentumsrechte auf einen Dritten aus Gründen des Allgemeinwohls
(Enteignung) ist zulässig. Die Enteignung persönlich genutzten Eigentums ist
nur aus dringenden Gründen des Allgemeinwohls zulässig.
Enteignungen dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das
Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Werden bestehende
Eigentumsrechte durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes umgestaltet und
wird dem Eigentümer dadurch ein schwerwiegender vermögenswerter
Nachteil auferlegt (Sonderopfer), so ist ein Opferausgleich vorzusehen.
Entschädigung und Opferausgleich sind unter gerechter Abwägung der
Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen; nur
soweit persönlich genutztes Eigentum betroffen ist, ist der Wertverlust
voll auszugleichen. Dem persönlich genutzten Eigentum steht das
genossenschaftliche Eigentum gleich.
Artikel 30
Die Bildung von Kartellen und marktbeherrschenden Unternehmen ist
unzulässig. Ausnahmen sind nur auf gesetzlicher Grundlage im
Interesse der Sicherung gefährdeter Arbeitsplätze, der Förderung
strukturschwacher Regionen und der Erhaltung der internationalen
Wettbewerbsfähigkeit möglich.
Artikel 31
(1) Boden und Wirtschaftsunternehmen können zum Zwecke der
Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der
Entschädigung regelt, in selbständige Unternehmen der Gemeinwirtschaft
überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 29 Absatz 3 Satz 5
entsprechend.
(2) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind befugt, zur
Erfüllung ihrer Aufgaben am Wirtschaftsleben teilzunehmen.
(3) Aus Gründen der zuverlässigen und umfassenden Versorgung der
Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen sowie aus wichtigen
ordnungspolitischen Gründen können durch Gesetz oder aufgrund
eines Gesetzes Monopole der öffentlichen Hand geschaffen werden.
Artikel 32
(1) Die Nutzung des Bodens und der Gewässer ist in besonderem Maße
den Interessen der Allgemeinheit und künftiger Generationen
verpflichtet. Ihre Verkehrsfähigkeit kann durch Gesetz beschränkt werden. Die
Nutzung von Grund und Boden ist nur im Rahmen einer
Flächennutzungsplanung zulässig. Das Eigentum und die Nutzung von land- und
forstwirtschaftlichen Flächen, die einhundert Hektar übersteigen, ist
genossenschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen und den Kirchen
vorbehalten. Die Veräußerung von Grund und Boden und die
Überlassung von Nutzungsrechten an Ausländer bedürfen der Genehmigung.
(2) Steigert sich der Wert von Boden aufgrund seiner planerischen
Umwandlung in Bauland, so steht den Trägern der
Kommunalautonomie ein Ausgleich für die Wertsteigerung zu. Dieser
Planungswertausgleich wird in der Regel durch die entschädigungslose Abgabe eines
Anteils des beplanten Bodens erbracht. Der Anteil entspricht dem Maß
der Wertsteigerung, darf aber die Hälfte des Bodens nicht übersteigen.
(3) Der Abbau von Bodenschätzen bedarf der staatlichen Genehmigung.
Dabei ist dem öffentlichen Interesse an der schonenden Nutzung des
Bodens besonderes Gewicht beizumessen.
Artikel 33
(1) Der Schutz der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage
gegenwärtiger und künftiger Generationen ist Pflicht des Staates und aller Bürger.
Die staatliche Umweltpolitik hat Vorsorge gegen das Entstehen
schädlicher Umwelteinwirkungen zu treffen sowie auf den sparsamen
Gebrauch und die Wiederverwendung nichterneuerbarer Rohstoffe und
die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken.
(2) Eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung der natürlichen
Umwelt darf nur in dem Umfang zugelassen werden, in dem dies zum
Schutz überragend wichtiger Interessen der Allgemeinheit unerläßlich
ist.
(3) Niemand darf durch nachteilige Veränderungen der natürlichen
Lebensgrundlagen in seiner Gesundheit verletzt oder unzumutbar
gefährdet werden. Jedermann kann mit der Behauptung, durch
nachteilige Veränderungen der natürlichen Umwelt in seinem Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit gefährdet oder verletzt zu sein, die
Offenlegung der Daten über die Umweltbeschaffenheit seines
Lebenskreises verlangen. Die Verbandsklage ist zulässig.
(4) Wer Umweltschäden verursacht, haftet und ist für Ausgleichsmaßnahmen verantwortlich.
(5) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind verpflichtet,
der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Wäldern, Feldern, Seen und
Flüssen freizuhalten und gegebenenfalls durch Einschränkungen des
Eigentums freizumachen.
3. Abschnitt
Rechte der Sorben
Artikel 34
(1) Der Staat achtet und fördert die Interessen der Sorben. Er
gewährleistet und schützt ihr Recht auf den Gebrauch und die Pflege ihrer
Sprache, Kultur und Traditionen. Er unterhält oder unterstützt die dazu
erforderlichen Einrichtungen, insbesondere im Sozial- und
Bildungswesen. Die Sorben haben das Recht, ihre Muttersprache vor den
Verwaltungsbehörden und den Gerichten zu gebrauchen. In der Landes- und
Regionalplanung sind die Lebensbedürfnisse der Sorben besonders zu
berücksichtigen.
(2) Durch Gesetz können Autonomierechte eingeräumt werden.