(RGBl. I, Nr. 55 vom 2. September 1924, S. 694)
Auf Grund der §§ 8, 64 der Dritten Steuernotverordnung vom 14. Februar 1924 (Reichsgeſetzbl. I S. 74) verordnet die Reichsregierung:
Der Aufwertung unterliegen ſämtliche Anſprüche der Verſicherten aus Lebensverſicherungsverträgen (Verſicherung auf den Lebensfall, auf den Todesfall, Kapitalverſicherung, Rentenverſicherung uſw., ferner Invaliditäts-, Alters-, Witwen-, Waiſen-, Ausſteuer- und Militärdienſtverſicherung, gleichviel ob auf Kapital oder Rente), ſoweit ſie vor dem 14. Februar 1924 begründet ſind und die Zahlung einer beſtimmten in Reichswährung ausgedrückten Geldſumme zum Gegenſtande haben. Unter den gleichen Vorausſetzungen werden dieſen Anſprüchen gleichgeachtet die Anſprüche der Verſicherten aus Kranken, Unfall- und Haftpflichtverſicherungsverträgen, ſoweit für dieſe Anſprüche nach geſetzlichen Beſtimmungen oder nach Vorſchrift der Aufſichtsbehörde vor den 14. Februar 1924 ein Prämienreſervefonds im Sinne der §§ 56 ff. des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes zu bilden war. Ansprüche aus Haftpflichtverſicherungsverträgen mit unbegrenzter Deckung bleiben von dieſer Regelung unberührt.
(1) Die im § 1 bezeichneten Anſprüche werden nach Maßgabe der verfügbaren Mittel unter Zugrundelegung der auf ſie geſchäftsplanmäßig entfallenden Reſerven (techniſchen Reſerven) nach Abzug der Prämienrückſtände und der den Verſicherungsnehmern etwa gewährten Policedarlehen und Vorauszahlungen aufgewertet. Die techniſchen Reſerven ſowie die Prämienrückſtände, die Policedarlehen und Vorauszahlungen werden hierbei nach ihrem Goldmarkbetrag in ſinngemäßer Anwendung des § 2 Abſ. 2 der Dritten Steuernotverordnung berechnet. Für die Durchführung dieſer Beſtimmungen kann die Aufſichtsbehörde nähere Vorſchriften erlaſſen.
(2) Bei der lebenslänglichen Haftpflichtverſicherung mit begrenzter Deckung wird die vertraglich feſtgeſetzte Höchſtverſicherungsſumme (Deckungsſumme) auf der Grundlage der auf die Verſicherung entfallenden techniſchen Reſerven gemäß Abſ. 1 in Goldmark umgerechnet. Nach Eintritt des Verſicherungsfalls wird der durch rechtskräftiges Urteil, Vergleich oder Anerkenntnis feſtgeſtellte Schadensbetrag zu einem dem Verhältnis dieſer neu berechneten Deckungsſumme zur vertraglichen Deckungsſumme entſprechenden Teile, höchſtens jedoch die neu berechnete Deckungsſumme vergütet.
(1) Das dem Treuhänder zu überweiſende Vermögen der Verſicherungsunternehmung bildet den Aufwertungsſtock. In ihn fließen unbeſchadet der Vorſchrift des § 4 ſämtliche im Sinne des Artikel I §§ 1 bis 13 der Dritten Steuernotverordnung aufgewerteten Vermögensanlagen der Unternehmung, die ihr bei Ablauf des 13. Februar 1924 gehörten, ſoweit ſie nicht verpfändet oder gemäß § 57 Abſ. 1 Satz 2 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes als beſondere Sicherheit geſtellt ſind. Soweit Hypotheken zum Aufwertungsſtock gehören, finden die Vorſchriften der §§ 5 bis 7 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Artikel I der Dritten Steuernotverordnung vom 15. Auguſt 1924 (Reichsgeſetzbl. I S. 682) entſprechende Anwendung.
(2) Wenn es die wirtſchaftlichen Verhältniſſe der Unternehmung angemeſſen erſcheinen laſſen, ſind auf Verlangen und nach näherer Beſtimmung der Aufſichtsbehörde Beiträge aus dem ſonſtigen Vermögen der Unternehmung in den Aufwertungsſtock zu leiſten. Die Beiträge ſind auf Antrag des Treuhänders nach den landesrechtlichen Vorſchriften über die Beitreibung öffentlicher Abgaben einzuziehen.
(3) Der Treuhänder iſt mit Zuſtimmung der Aufſichtsbehörde berechtigt und auf ihre Weiſung verpflichtet, Teile des Aufwertungsſtocks für die Befriedigung anderweitiger Verpflichtungen der Unternehmung (Verwaltungskoſten, Fremdwährungsverpflichtungen, Anſprüche aus Kranken-, Unfall- und Haftpflichtverſicherungsverträgen, ſoweit ſie nicht unter § 1 fallen, uſw.) freizugeben, wenn die beabſichtigte Verwendung des freizugebenden Teiles zur wirtſchaftlichen Erhaltung der Unternehmung oder zur Abwendung einer groben Unbilligkeit geboten oder nach der Geſamtlage der Unternehmung für die Verſicherten vorteilhaft erſcheint.
(4) Streitigkeiten, die zwiſchen dem Treuhänder und der Unternehmung über den Aufwertungsſtock entſtehen, werden durch die Aufſichtsbehörde unter Ausſchluß des Rechtswegs in dem durch §§ 73, 74 und 84 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes geregelten Verfahren entſchieden; im gleichen Verfahren ergehen auch die im Abſ. 2 und 3 vorgeſehenen Entſcheidungen der Aufſichtsbehörde.
(1) Kommen bei einer Unternehmung mehrere Verſicherungszweige in Betracht, ſo werden für die auf Reichswährung lautenden Verſicherungen die im § 3 Abſ. 1 bezeichneten Vermögensanlagen im Einvernehmen mit dem Treuhänder auf die verſchiedenen Verſicherungszweige im Verhältnis der Goldmarkbeträge der auf ſie entfallenden techniſchen Reſerven aufgeteilt; § 2 Abſ. 1 Satz 2, 3 gelten entſprechend. Bei der Aufteilung darf auf die Anfwertungsſtöcke der Lebensverſicherung, der Kranken-, Unfall- und Haftpflichtverſicherung nicht weniger entfallen, als die zugehörigen Prämienreſervefonds an aufgewerteten Vermögensanlagen enthalten haben.
(2) Die Aufteilung bedarf der Genehmigung der Aufſichtsbehörde. § 3 Abſ. 4 findet Anwendung. Ergeben ſich bei der Aufteilung nach Abſ. 1 offenbare Unbilligkeiten, ſo hat auf Verlangen der Aufſichtsbehörde eine andere Aufteilung zu erfolgen.
(1) Der Treuhänder hat den Aufwertungsſtock zu verwalten. Er iſt berechtigt über ihn zu verfügen, ſoweit dieſe Verfügung im Intereſſe der Verſicherten, insbeſondere zu einer ſchnellen Durchführung der Aufwertung zweckdienlich erſcheint; er ſoll vor dieſer Verfügung die Unternehmung anhören und bei ihrem Widerſpruch die Entſcheidung der Aufſichtsbehörde einholen.
(2) Der Treuhänder hat für die Verwendung des Aufwertungsſtocks einen Plan (Verteilungsplan) aufzuſtellen. Aus dem Verteilungsplan müſſen ſich die auf die Verſicherungen entfallenden Aufwertungsanteile ergeben. Soweit die Verſicherungsanſprüche noch nicht fällig ſind, wird für ſie eine beitragsfreie oder beitragspflichtige Verſicherung aus Goldmark im Verteilungsplane berechnet.
(3) Bei der Berechnung der neuen Verſicherungsanſprüche können die Verſicherungsformen geändert, insbeſondere kann der Ablauf der Verſicherungen bis Ende 1932 hinausgeſchoben und die Gewinnbeteiligung aufgehoben oder in anderer Weiſe geregelt werden. Beim Rückkauf iſt dem Verſicherungsnehmer die volle Prämienreſerve zu gewähren.
(4) Mit Genehmigung der Aufſichtsbehörde können Zahlungen aus den aufgewerteten Verſicherungsverhältniſſen bis Ende 1932 abgelehnt werden.
(5) Die Fortſetzung des Verſicherungsverhältniſſes als beitragspflichtige Verſicherung gilt nur dann als vereinbart, wenn die nach dem Verteilungsplane zu leiſtende erſte Prämienzahlung innerhalb der geſtellten Friſt bewirkt iſt.
Im Verteilungsplane kann vorgeſehen werden, daß die Anſprüche für gewiſſe Gruppen von Verſicherungsnehmern oder für die Verſicherungsnehmer aller oder einzelner Jahrgänge der ſeit dem 1. Januar 1919 abgeſchloſſenen Verſicherungen aus der allgemeinen Verteilung ausſcheiden und abgeſondert geregelt werden. In dieſem Falle kann insbeſondere dem Verſicherungsnehmer an Stelle ſeiner bisherigen Verſicherung eine neue beitragspflichtige Verſicherung mit einem von der Aufſichtsbehörde feſtgeſetzten Mindeſtbetrag unter Berückſichtigung ſeines Aufwertungsanteils angeboten werden. Lehnt der Verſicherungsnehmer dieſes Angebot ab, ſo wird ihm nach Wahl der Unternehmung ſein Aufwertungsanteil auf ſeine Koſten bar ausgezahlt oder eine entſprechende beitragsfreie Verſicherung eingeräumt. Die Beſtimmung des § 5 Abſ. 4 findet entſprechende Anwendung.
Beträgt der Aufwertungsanteil weniger als 30 Goldmark, ſo kann in dem Verteilungsplan angeordnet werden, daß der Aufwertungsanteil dem Verſicherungsnehmer unter Aufhebung des Verſicherungsverhältniſſes bar auszuzahlen iſt. Beträgt der Aufwertungsanteil bei Verſicherungen über eine Summe von mehr als 2 000 Mark oder eine Jahresrente von mehr als 100 Mark weniger als 10 Goldmark, bei anderen Verſicherungen weniger als 3 Goldmark, ſo wird er nicht ausgezahlt, ſondern einer Rücklage zugeführt, die der Treuhänder zum Ausgleich beſonderer Härten mit Zuſtimmung der Aufſichtsbehörde für die Verſicherten zu verwenden hat.
Der Treuhänder hat mit Genehmigung der Aufſichtsbehörde den Aufwertungsſtock ganz oder teilweiſe an die Unternehmung herauszugeben, wenn und ſoweit eine beſondere Regelung beſtimmter Anſprüche nach § 6 erfolgt oder erfolgt iſt, oder wenn Vereinbarungen im Sinne des § 13 Abſ. 1 der Dritten Steuernotverordnung mit Genehmigung der Aufſichtsbehörde getroffen werden.
Der Verteilungsplan wird mit der Genehmigung durch die Aufſichtsbehörde verbindlich. Die Genehmigung des Verteilungsplans erfolgt, ſofern bei der Aufſichtsbehörde Bedenken beſtehen, in dem durch die §§ 73, 74 und 84 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes geregelten Verfahren.
Nach Genehmigung des Verteilungsplans hat der Treuhänder den Aufwertungsſtock der Unternehmung zur Verfügung zu ſtellen. Die Unternehmung hat für
die neu berechneten Verſicherungsanſprüche gemäß § 56 ff. des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes die Prämienreſerven zu berechnen und die erforderlichen Beträge dem Prämienreſervefonds zuzuführen. Bis zu ihrer Zuführung finden die Vorſchriften des § 61 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes zugunſten der neu berechneten Verſicherungsanſprüche auf den Aufwertungsſtock Anwendung; Arreſte und Zwangsvollſtreckungen finden in den Aufwertungsſtock nicht ſtatt.
(1) Sind bei einer deutſchen Unternehmung unzureichend gedeckte Fremdwährungsverpflichtungen vorhanden, ſo wird der Aufwertungsſtock unbeſchadet der Vorſchriften des § 3 Abſ. 2, 3 zwiſchen den Verſicherungen in Fremdwährung und in Reichswährung im Einvernehmen mit dem Treuhänder im Verhältnis der in ſinngemäßer Anwendung des § 2 Abſ. 1 berechneten Goldmarkbeträge der auf ſie entfallenden techniſchen Reſerven nach Maßgabe der folgenden Vorſchriften aufgeteilt.
(2) Verſicherungen in Fremdwährung, die nicht am Prämienreſervefonds (§ 57 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes) beteiligt ſind, werden nur bei der Aufteilung des nicht zum Prämienreſervefonds gehörigen Teiles des Aufwertungsſtocks und nur mit dem Teile ihrer Anſprüche berückſichtigt, der nicht durch die für ſie im Ausland geſtellten Sicherheiten gedeckt iſt.
(3) Die übrigen Verſicherungen in Fremdwährung werden bei der Verteilung des zum Prämienreſervefonds gehörigen Teiles des Aufwertungsſtocks berückſichtigt. Außerdem gebührt ihnen der auch nach Durchführung des § 3 Abſ. 2 nicht zum Aufwertungsſtock gehörige Teil des Prämienreſervefonds und eine etwaige für ſie beſonders geſtellte Sicherheit.
(4) Soweit die im Abſ. 3 bezeichneten Verſicherungen in Fremdwährung nicht gedeckt ſind, nehmen ſie auch bei der Verteilung des nicht zum Prämienreſervefonds gehörigen Teiles des Aufwertungsſtocks neben den Verſicherungen in Reichswährung teil; beide Arten von Verſicherungen werden nur in Höhe des Ausfalls bei dieſer Verteilung berückſichtigt.
(5) Der auf die Verſicherungen in Reichswährung entfallende Anteil wird auch im Konkurſe der Unternehmung oder bei Maßnahmen nach § 69 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes ausſchließlich zugunſten der Verſicherungen in Reichswährung mit Genehmigung der Aufſichtsbehörde verwendet.
(6) Das Verteilungsverfahren iſt auszuſetzen, wenn mit Zuſtimmung der Aufſichtsbehörde Verhandlungen über eine Regelung der Fremdwährungsverpflichtungen im Vergleichswege ſchweben. Kommt ein Vergleich zuſtande, ſo entfällt für die davon betroffenen Verſicherungen das Verfahren nach Abſ. 1 bis 4.
(1) Der Treuhänder wird nach Anhörung der Unternehmung durch die Aufſichtsbehörde beſtellt. Er darf nicht Mitglied des Vorſtandes oder des Aufſichtsrats oder Angeſtellter der Unternehmung ſein und auch nicht zu ihren Aktionären gehören. Der Treuhänder erhält eine Beſtallung. Die nach den Vorſchriften des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes der Aufſichtsbehörde obliegende Überwachung des Geſchäftsbetriebs der Unternehmung erſtreckt ſich auch auf die Geſchäftsführung des Treuhänders. Er kann bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entlaſſen werden.
(2) Die Vergütung für den Treuhänder wird nach Anhörung der Unternehmung durch die Aufſichtsbehörde feſtgeſetzt; die Vergütung und die übrigen Koſten des Aufwertungsverfahrens gehen zu Laſten des Aufwertungsſtocks. Der Treuhänder kann bei Ausübung ſeiner Obliegenheiten die Mitwirkung der Unternehmung gegen eine angemeſſene Vergütung in Anſpruch nehmen; im Streitfall entſcheidet die Aufſichtsbehörde unter Ausſchluß des Rechtswegs über die Höhe der Vergütung.
(3) Das Amt des Treuhänders endigt, ſobald der Aufwertungsſtock der Unternehmung gemäß § 10 zur Verfügung geſtellt iſt. Der Treuhänder hat nach Beendigung ſeines Amtes die Beſtallung der Aufſichtsbehörde zurückzugeben.
Die Aufſichtsbehörde kann auf Antrag der Unternehmung oder des Treuhänders eine Ausſchlußfriſt für die Anmeldung der im Verteilungsplane zu berückſichtigenden Anſprüche feſtſetzen. Die Ausſchlußfriſt iſt nach näherer Vorſchrift der Aufſichtsbehörde bekanntzumachen.
Bei den kleineren Vereinen im Sinne des § 53 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes und bei den nach dem Angeſtelltenverſicherungsgeſetze zugelaſſenen Erſatzkaſſen kann von der Beſtellung eines Treuhänders abgeſehen werden. In dieſem Falle wird die Verwendung der im § 3 Abſ. 1 bezeichneten Vermögensanlagen durch den Geſchäftsplan geregelt, der der Genehmigung der Aufſichtsbehörde bedarf. Die Aufſtellung des Geſchäftsplans erfolgt durch übereinſtimmenden Beſchluß von Vorſtand und Aufſichtsrat oder, wenn ein Aufſichtsrat nicht vorhanden iſt, durch den Vorſtand.
Wenn aus Anlaß der Übertragung eines Verſicherungsbeſtandes Vermögensanlagen übertragen worden ſind, ſo iſt für die Berechnung des Goldmarkbetrags dieſer Vermögensanlagen der Tag maßgebend, an welchem der Anſpruch für die übertragende Unternehmung begründet wurde. Das gleiche gilt bei der Übertragung von Vermögensanlagen, die anläßlich der durch Währungsſchwierigkeiten bedingten Übertragung einzelner Verſicherungen auf eine andere Verſicherungsunternehmung erfolgt iſt.
Bei einer Entſcheidung nach den §§ 73, 74 und 84 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes auf Grund dieſer Verordnung gelten die Unternehmung und der Treuhänder im Sinne der §§ 73 Abſ. 7, 74 des Verſicherungsaufſichtsgeſetzes als Beteiligte.
Auf Anſprüche aus Lebensverſicherungsverträgen, die mit ausländiſchen, im Inland nicht beaufſichtigten Unternehmungen abgeſchloſſen ſind, finden die Vorſchriften der §§ 1 bis 16 keine Anwendung; für dieſe Anſprüche bewendet es bei den für ſie geltenden allgemeinen geſetzlichen Beſtimmungen.
Berlin, den 28. Auguſt 1924
Der Reichskanzler
Ebert
Der Reichsminiſter der Juſtiz
In Vertretung
Dr. Joël